Der Musik folgen…

Meine erste Begegnung mit My Breath My Music und Ruud van der Wel gab es 2007 bei der Support Exhibition in Utrecht – einer großen Ausstellung, wo sich auch viele Menschen mit Behinderung treffen. Aus einer entfernten Ecke drang Musik zu mir herüber. Sofort war mein Interesse geweckt, denn Musik ist eines der wichtigsten Elemente in meinem Leben. Dies war es schon immer. Ich möchte euch ein wenig davon erzählen, von meinen musikalischen Werdegang, dem „Vorfall“ und dem Unerreichbaren, das sich als doch noch erreichbar herausstellte…

Orgel
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der man Orgel oder Blockflöte spielte, um zu musizieren. Blockflöte habe ich nie wirklich probiert. Auf der Orgel habe ich immer wieder das ein oder andere gespielt, aber niemals ernsthafte Ambitionen gezeigt. Mit der Orgelschule meines Bruders kam ich nie weiter als bis zu „zwei Kreuzchen“ und dort endete dann mein Abenteuer. Wenn ich Musik machen wollte habe ich dann für gewöhnlich gesungen oder ein Saxophon imitiert.

Panflöte
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber irgendwann bekam ich eine Panflöte in die Hände. Mit ein wenig Atemtraining und Phantasie war ich schnell in der Lage, Melodien zu spielen und ein bisschen zu improvisieren. Die Musik war in meinem Kopf. Ich konnte nie gut Noten lesen und die Versuche, mit anderen zusammen zu spielen endeten oft erfolglos. So spielte ich alleine und hatte viel Spaß dabei.

Flöte
Der Schritt von der Panflöte zur Flöte war kein großer und bald schon, als ich das Geld dazu hatte, kaufte ich mir eine eigene Flöte. Ich nahm ein paar Stunden um die Grundtechniken zu lernen und brachte mir den Rest selbst bei. Das Spielen machte mir immer viel Spaß, manchmal mehr, manchmal weniger, aber immer alleine und nur für meine Familie und Freunde.

Saxophon
Saxophon spielen zu lernen machte mir sehr viel Spaß. Ein Saxophon imitieren ist die eine Sache, ein richtiges zu spielen die andere. Der Wechsel von Flöte zu Alt-Saxophon stellte sich als schwierig heraus, vor allem aufgrund der völlig unterschiedlichen Atemtechniken. Ein Lehrer half mir in den Anfängen und nun konnte ich endlich mein Lieblingsinstrument spielen. Flöte und Panflöte kamen nur noch nebenbei zum Einsatz, das Saxophon wurde mein Hauptinstrument.

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Nikolausabend 2006
Niemals in all den Jahren hatte ich ein Nikolausgeschenk bekommen, das mein Leben so dramatisch änderte wie das in diesem Jahr. An die Ereignisse dieses Tages und der darauffolgenden Nacht kann ich mich nicht erinnern. Später erzählte man mir, dass ich am Nikolausabend sehr schwer krank wurde, man diagnostizierte das Critical-Illness-Syndrom. Ich wurde mit dem Notarztwagen schnell in die Klinik gebracht und befand mich in Lebensgefahr. Ich fiel ins Koma, die ärzte entschieden mich in diesem Zustand zu lassen, unter anderem wegen extrem hoher Blutzuckerwerte und weil mein Gehirn wahrscheinlich geschädigt worden war.

Anfang Januar 2007
Anfang Januar 2007 stabilisierte sich mein Zustand und ich erlangte wieder Bewusstsein. Langsam verstand ich, dass ich nicht zu Hause im Bett lag, sondern in einem Krankenhaus. Mehrere Wochen hatte ich auf der Intensivstation verbracht. Meine Angehörigen hatten in dieser Zeit viel Stress und Sorgen, mit denen sie sich herumschlagen mussten. Glücklicherweise wurde ich auf eine normale Krankenstation verlegt, da sich mein Zustand verbessert hatte. Verbessert schon, aber alleine deshalb wurde ich jetzt mit den harten Fakten der Realität konfrontiert: Ich konnte nicht sprechen. Das Einzige, was ich überhaupt konnte, war etwas zu bejahen oder zu verneinen, indem ich meine Augen schloss oder meine Lippen bewegte, aber ich brachte keinen Laut hervor. Ich konnte nichts mit meinen Händen halten, sitzen, stehen oder gehen sowieso nicht. Ärzte vermuteten außerdem, dass mein Gleichgewichtssinn geschädigt war.

Musizieren – eine Sache der Vergangenheit
Es folgte eine Zeit, in der ich wieder etwas stärker und gesünder wurde, oder wie immer man es nennen mag. Langsam zeigte sich, was sich verbessern würde und was nie mehr, oder in anderen Worten: welche Behinderungen bleiben würden. Ich dachte mir nun, dass Musizieren eine Sache der Vergangenheit sei. Ich habe den Nikolaus an diesem bestimmten 5. Dezember nicht mehr gesehen, aber in dieser Nacht hatte mir jemand meine Panflöte, Flöte und Altsaxophon weggenommen. Man hat mir sogar die ganze Fähigkeit zum Musizieren genommen! So fühlte ich mich wenigstens. Das Altsaxophon war in den letzten Jahren mein bester Freund geworden. Nach der ersten Zeit im Krankenhaus wurde ich in eine Pflegeeinrichtung geschickt, bis ich schließlich zum Rehabilitationszentrum „De Vogellanden“ kam. Langsam, aber sicher wurde klar, dass mir drei Behinderungen bleiben würden. Ich konnte meinen Körper nicht mehr stabilisieren und somit war ich an einen Rollstuhl gefesselt. Jedoch konnte ich alleine damit fahren, die Kraft in meinen Beinen war immer noch vorhanden. Weiterhin waren meine Sprachfähigkeiten beeinträchtigt und ich hatte Ataxie in beiden Armen, Händen und im Kiefer. Diese Körperregionen zu koordinieren fällt schwer und ungewollte Bewegungen treten auf.

Das „Music-and-Injuries“-Team
Am Rehabilitationszentrum „De Vogellanden“ versuchte ich immer wieder versucht, Saxophon und Flöte zu spielen, scheiterte aber jedes Mal, besonders wegen meiner unruhigen Hände und Probleme mit meiner Atmung. Einer der Therapeuten schlug vor, sich mit dem „Music-and-Injuries“-Team in Friesland in Kontakt zu setzen. Dies ist eine Gruppe von Therapeuten und ärzten vom Rehabilitationszentrum „Beetsterzwaag“. Sie arbeiten mit Menschen mit Behinderung, die neue Wege suchen, um Musik zu machen. Sie haben damit schon viel Erfahrung und kennen andere Organisationen, die mir helfen könnten. So wurde mir erzählt. Ich reiste nach Friesland und die Hoffnung kam wieder. Begeisterungsfähige Menschen, die an Möglichkeiten und Chancen glauben, stellten sich für mich als extrem wichtig heraus. Aber ich machte keine großen Fortschritte auf meinen bisherigen Instrumenten, da ich immer noch von unruhigen Händen und Atemproblemen geplagt wurde.

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Support Fair Utrecht 2007
Während dieser Zeit traf ich Ruud van der Wel beim Support Fair in Utrecht. Er zeigte mir die Arbeit seiner Stiftung „My Breath My Music“ und zeigte mir Beispiele von Menschen mit Behinderung, die (wieder) Musik machen konnten. Er hatte sogar ein neues Instrument entwickelt, die „Magic Flute“. Ruud arbeitete hauptsächlich mit elektronischen Instrumenten und Equipment. Ich begann zu begreifen, dass dies die Lösung sein könnte. Meine „alten“ Instrumente konnte ich nicht mehr spielen, da Atemprobleme mich einschränkten. Mit einem elektronischen Instrumenten und einigen Anpassungen jedoch sollte dies kein Problem mehr sein. Auf dem Stand von Ruud zeigten mehrere Menschen mit Behinderung auf wunderbare Weise, dass dies möglich war. Ich war beeindruckt von dem, was ich hörte und nach einem kurzen Gespräch mit Ruud verließ ich die Ausstellung. „Wenn Menschen mit solch schweren Behinderungen Musik machen können…“, dachte ich und besuchte zu Hause sofort die Internetseite mybreathmymusic.com. Nachdem ich einige Sachen gelesen und Links verfolgt hatte, wurde mir klar, was nun für mich möglich war. Menschen mit verschiedensten Behinderungen können wieder musizieren oder es von Grund auf neu erlernen. Der Musiktherapeut aus Rotterdam hilft ihnen dabei. Er hat so viele kreative Ideen und Lösungen und unterstützt einen im Prozess, wieder Spielen zu lernen. Ich werde euch erzählen, wie Ruud mir nach meiner ersten E-Mail nach Rotterdam geholfen hat.

Hilfe von Ruud
Jetzt spiele ich ein elektronisches Saxophon, das Yamaha WX11. Es ist das beste Modell für mich. Neben verschiedenen Typen von Saxophonen kann ich alle Arten von Instrumenten simulieren, von Gitarre bis hin zu Piano. Ich war in Lage, verschiedene Modelle für eine bestimmte Zeit auszuprobieren. Ruud half mir außerdem, passendes Equipment wie das Soundmodul Yamaha VL70m zu finden sowie eine geeignete Soundkarte und Software für meinen PC. Ich ging mehrmals nach Rotterdam, um von Ruud praktische Anleitungen zu erhalten. Noch heute pflege ich mit ihm regen E-Mail-Kontakt. Wenn ich stecken bleibe, bekomme ich von ihm immer einen Anschub, der mich wieder auf Spur bringt. Mein musikalischer Horizont hat sich enorm erweitert. Ich kann nicht nur verschiedene „Instrumente“ spielen, sondern auch Musik mixen, Rhythmen und andere Stimmen hinzufügen, etc. Dadurch habe ich ein neues Hobby gewonnen. Viele Dinge zur elektronischen Musik kann man im Internet finden. Der Fortschritt stellt sich bei mir oft sprunghaft an. Ich bewege mich für eine gewisse Zeit auf einem Level und plötzlich gibt es einen Schub vorwärts, dann wird alles besser und einfacher als vorher. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich am Anfang gespielt habe und vergleiche, wie es jetzt klingt… Nie hatte ich gedachte, dass dies möglich sein würde. In der Lage sein, zu spielen, meinen Atem zu kontrollieren, mir Kenntnisse über das Equipment anzueignen…

Ruud hat mir sehr dabei geholfen und er macht es immer noch. Mit der nötigen Technik, aber vor allem mit seiner unglaublich positiven Einstellung. Danke! Das war so wichtig für meine Genesung und dafür, mich in meiner neuen Situation zurechtzufinden.

Jan Gerhard Aalbers
Zwolle

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